Staat / Religion
Die Kirchen haben aufgrund ihrer verständlichen Hemmschwelle, bei der Einhebung der Kirchensteuer alle rechtlichen Mittel auszuschöpfen, einen nicht unbeträchtlichen Steuerausfall und deshalb spricht sich die Zentrumpartei für folgenden Kompromiss aus.
Österreich sollte den Kirchen einen Teil seiner staatlichen Einnahmen abtreten und die Kirchensteuer nicht mehr als Individualsteuer einheben lassen. Dieser staatliche Transfer könnte nominal höher sein als die derzeitigen Nettoeinnahmen der Kirchen aus der Kirchensteuer. Die zukünftige Wertentwicklung dieser vom Staat an die Kirchen übermittelten Transferleistung müsste jedoch an die Wertentwicklung des unteren Lohnsegmentes gekoppelt werden.
Die Zentrumpartei sieht hier eine Chance, die gesellschaftspolitische Kraft der christlichen Kirchen ein wenig aufzumuntern und formuliert die Forderung, dass die Grundlage für den staatlichen Kirchentransfer nicht mehr an die Bruttolöhne, sondern an die Wertentwicklung des „untersten Nettokollektivvertrags“ oder an die Wertentwicklung einer neuen Richtgröße, der so genannten „unteren Nettoquartane“ zu koppeln sei.
Eine Wertzunahme dieser unteren Nettoquartane hätte Mehreinnahmen der Kirchen zur Folge und zusätzlich wäre für sie der Aufwand für Bemessung, Vorschreibung und Einhebung der Kirchensteuer nicht mehr erforderlich.
Durch diesen Kunstgriff könnten die kirchlichen Kreise in unserem Staat veranlasst werden, in ihrem hintergründigen aber effektvollen Wirken mit den Gewerkschaften der Privatwirtschaft an einem Strang zu ziehen.
Somit hätten die Gewerkschaften nach der, von der Zentrumpartei geforderten Auflösung ihrer staatlichen und staatsnahen Anteile, einen nicht zu unterschätzenden Weggefährten an ihrer Seite.
Diese eine Regelung mit Religionsbezug könnte dann in den Verfassungsrang erhoben werden.
Grundsätzliches
In der Menschheitsgeschichte ist der säkulare Staat eine sehr junge Form des menschlichen Miteinander, eine kurze jahrzehntelange Erscheinung, die gut mit den ersten Wochen nach der Abnabelung in der Entwicklung des menschlichen Individuums vergleichbar ist.
Ebenso wie während der Entwicklung des menschlichen Embryos die Nabelschnur eine lebensnotwendige Verbindung mit seinem Ursprung aufrecht erhält, ebenso ist die gedeihliche Entwicklung eines säkularen Staates an eine funktionsfähige religiöse Nabelschnur gebunden.
Diese beiden Ahnengestalten könnten uns beständige Ermahnung an den Respekt vor dem Alter sein, den wir in Zukunft immer mehr benötigen werden. Die Zentrumpartei hält es jedoch für staatlich existenziell, dass wir dieser Alterung nicht hilflos entgegentreiben, sondern sie durch eine Verjüngung ergänzen, und sei es um den Preis von einschneidenden innerstaatlichen Veränderungen.
Die christlichen Kirchen scheinen erkannt zu haben, dass sie damit gewinnen können, denn einerseits könnte die für alle betroffenen Frauen schmerzhafte, und für alle gesellschaftlichen Gruppierungen beschämende Anzahl von Abtreibungen vermindert werden, und andererseits könnten sich die christlichen Kirchen im Abendland gegenüber dem Islam profilieren, denn „Geld den erziehenden Frauen“ bedeutet „Verminderung der Abhängigkeit für Frauen“, und dies dürfte unter den Anhängern der moslemischen Glaubensrichtung in Europa einige kontroversielle Diskurse zur Folge haben.
Wenn sich aber das demokratische Österreich als säkularer Staat durch abnehmende Geburtenzahlen seiner eigenen Zukunft beraubt, dann werden die Diskussionen mit den moslemischen Teilen unserer Gesellschaft über die Sinnhaftgkeit der Trennung von Kirche und Staat in absehbarer Zeit deutlich zunehmen, denn dieser säkulare Staat Österreich ist derzeit nicht imstande, ausreichend Nachwuchs hervor zu bringen.
Die Zentrumpartei erwartet daher mit wachem Sensorium die Äußerungen der christlichen Kirchen zur Frage,
– ob ihnen die Stabilisierung einer erschlankten säkularen Staatsform durch eine Steigerung der Geburtenrate neben straffreier Abtreibung näher liegt
– als eine zunehmende Wertediskussion mit den moslemischen Gesellschaften, die jedoch nicht nur die Position der christlichen Kirchen, sondern auch den Primat des Staates relativieren.
Nach diesen grundsätzlichen Überlegungen seien abschließend die Bemühungen jener klerikalen Kreise erleichtert, die stets damit befasst sind, den Geist zwischen den Zeilen zu erkennen. Ihnen sei bereits vor Artikulierung ihrer Frage in sinnändernder Erweiterung der Worte eines großen Abendländers geantwortet :
“ Es ist der Geist, der durchstudiert die groß‘ und kleine Welt,